Angeregt von Martin Nowaks neuem Buch „Supercooperators“ möchte ich in diesem Beitrag mögliche Grundbedingungen für Kooperation skizzieren. Martin Nowak bietet uns zunächst fünf bekannte Mechanismen an (eine andere Besprechung des Buches findet man übrigens bei meinem Kollegen Michael Blume in dessen Blog):
- Verwandtenselektion
- Direkte Reziprozität
- Indirekte Reziprozität
- Räumlich bedingte Kooperation
- Gruppenselektion (Multilevel-Selektion)
Biologisch betrachtet ist Verwandtenselektion mit Abstand der wichtigste Mechanismus dieser fünf. Hier ist entscheidend, wem meine Kooperationsleistungen zu Gute kommen. Je näher meine Verwandtschaft mit demjenigen, dem mein Altruismus zuteil wird, desto mehr steigere ich die eigene Fitness, da sich meine genetische Ausstattung ja zum Teil überschneidet. Ein oft genanntes Beispiel sind Ameisen oder Bienen, deren rätselhafte hohe Kooperationsrate durch Hamiltons Gleichungen perfekt erklärt wurde. Theoretisch ist dies gut fundiert, ebenso klar ist allerdings, dass es viele altruistische Taten gibt, die sich hiermit nicht erklären lassen.
Schwieriger wird es schon mit der Gegenseitigkeit (Mechanismus 2, direkte Reziprozität): “Wie du mir, so ich dir” (Tit for Tat) ist ein Beispiel für eine Verwirklichung von DR. Sie ist eine extrem erfolgreiche Strategie bei Pflanzen, Tieren und Menschen, weil sie gegen viele andere Strategien bestehen kann (sie ist also robust). Schön ist das auch in der Goldenen Regel eingefangen, die Moralfragen betrifft, und die es in ähnlicher Form in allen Weltreligionen gibt: „Was du nicht willst, was man dir tut, das füg auch keinem anderen zu“ (oder eben positiv formuliert). Problematisch dabei ist, dass es außerhalb der Menschen kaum gute Beispiele dafür gibt – auch das berühmte Vampirfledermaus-beispiel des Nahrungsteilens, das man bei Nowak ebenfalls noch finden kann, ist inzwischen höchst umstritten bzw. kann einfacher mit Mechanismus 1 erklärt werden.
Direkte Reziprozität (Mechanismus 2) darf nicht mit Mutualismus verwechselt werden. Bei DR kann ich – durch den Zeitraum bedingt, der zwischen der altruistischen Handlung A und der darauf folgenden Handlung B erfolgt – immer beschummeln / defektieren. Bei mutualistischen Systemen ist dies zwar auch möglich, wäre aber dumm, da per Definition beide Partner davon profitieren, bei einer Defektion also nicht besser, sondern schlechter dastünden.
Indirekte Reziprozität (IR, Mechanismus 3) läuft über einen Reputationsmechanismus. Was A dem B an Gutes tut, kriegt C mit, der dies wiederum möglicherweise an A weitergibt. Vertrauenswürdige Verkäufer bei ebay profitieren von ihrem Ruf, nämlich den guten Bewertungen der anderen. Dieser Mechanismus wird vor allem in größeren Populationen interessant, da direkte Reziprozität hier nicht mehr in voller Stärke greifen kann, da es zu viele Individuen gibt, die sich nicht mehr treffen. IR erfordert natürlich auch schon eine gewisse kognitive Grundausstattung (Wiedererkennen der Interaktionspartner, Gedächtnis, etc.).
Mechanismus 4, also Kooperation, die vor allem deshalb funktioniert, weil eine Population in gewisser Art und Weise räumlich angeordnet ist, hat es Nowak vor allem angetan. Bei Bakterien ist dies auch schön nachgewiesen worden: Können sich Kooperatoren geschützt vor zu vielen einwandernden Defektoren ungestört entwickeln, so genießen sie die vielen Vorteile dieser relativen Isolation und den ausschließlichen Kontakt mit „Gleichgesinnten“. Bei höherer Migrationsrate bzw. höherer Mutationsrate bzw. höherer Durchmischung (well mixed populations) wird das Bakterien-Utopia dann auch leider schnell labil.
Der letzte Mechanismus schließlich, Gruppenselektion, wird von den meisten Biologien mit Skepsis betrachtet. Trivers, Hamilton, Dawkins und andere weisen mit allem Nachdruck darauf hin, dass Selektion notwendigerweise am Individuum angreift, nicht an der Gruppe oder irgendeiner übergeordneten Einheit. Dies bestreitet nun Nowak ebenfalls. Er ist der Meinung, nachweisen zu können (mit einigen anderen Kollegen), dass Selektion auf verschiedenen Ebenen wirksam werden kann (sog. multilevel-Selektion). Das ist meiner Meinung nach auch das argumentativ schwächste Kapitel seines sonst spannend zu lesenden Buches.
Nach dieser eher allgemeinen, aber notwendigen Beschreibung der Grundlagen möchte ich im nächsten Beitrag einige weiterführende Ideen von Martin Nowak genauer aufgreifen. Dazu passt ein hoch interessanter Artikel, der die räumliche Struktur von sozialen Netzwerken bei Menschen experimentell untersucht hat. Passend deshalb, weil Nowak meist Computersimulationen evolutionärer Prozesse laufen lässt. Problematisch dabei ist, dass mit ein bisschen Spielerei an den Parametern ein weiter Raum an Ergebnissen erzeugt werden kann. Ob alle wichtigen Parameter erwischt wurden und ob sie realistisch sind, ist hingegen eine ganz andere Frage, die meist nicht gestellt wird.