Im Lichte der heutigen überwiegend klimaschädlichen Erzeugung von Energie ist es interessant, einmal in der neueren Wissenschaftsgeschichte zu Lösungen – und falschen Versprechungen – zu diesem Thema zu kramen. Und da wird man schnell fündig. Vor ziemlich genau 20 Jahren berichteten die Chemiker Pons und Fleischmann von einer gelungenen kalten Fusion. Dieses angebliche Ergebnis versprach unbegrenzte saubere Energie; alle Energieprobleme wären gelöst! Leider waren sie Betrüger. Das galt aber nicht für alle diejenigen Institute, die bereits an den folgenden Tagen die erfolgreiche Wiederholung der Ergebnisse meldeten. Die Welt der Physik verfiel in hysterische Aufregung, was sich erst ein Jahr später legen sollte.
Diese Gruppe habe ich mir etwas genauer angesehen, weil sie für einen Fehlerforscher wie mich besonders interessant sind. Sie bestand aus zahlreichen Wissenschaftlern, die fast alle zur internationalen Elite gehörten und die die Experimente und Ergebnisse der kalten Fusion zunächst positiv bestätigen konnten. Sie waren keine Betrüger (wie Pons und Fleischmann), sondern handelten nachweislich in gutem Glauben. Der Fall dieser Massenirrtümer ist hervorragend dokumentiert (Literatur siehe Ende des Artikels) und weist eine große Anzahl Personen in vielen verschiedenen Laboratorien auf, die unabhängig voneinander die gleichen Verhaltensweisen und Fehler zeigten.
Als Fragen, auch 20 Jahre danach, bleiben: Warum konnten hunderte Wissenschaftler aus der ganzen Welt die Experimente zunächst exakt „reproduzieren“, nach Aufkommen von Kritik aber nicht mehr? Warum übersahen sie Fehler, die ihnen Wochen später ins Auge sprangen? Warum vergaßen viele führende Wissenschaftler die einfachsten Kontrollversuche und führten ihre Experimente derart schlampig durch, dass, wie ein Physiker meinte, Vordiplomstudenten dafür eine Sechs erhalten hätten?
Einige Beispiele gefällig?
Kontrollexperimente waren in keinem dieser Laboratorien vorgesehen – was z. B. mit ordinärem Wasser extrem einfach möglich gewesen wäre und was ein Nobelpreisträger auch vorgeschlagen hatte. Statistische Absicherung war ebenfalls kein Thema. Erst als die Kritik immer lauter wurde, ordnete einer von ihnen, Martin, schließlich Kontrollen an:

„We did the control experiments after the press conference. This was the kind of basic stuff you try to teach freshmen. And, oh yeah, everything created excess heat.“ (Martin in Taubes 1993, S. 197)

Noch bemerkenswerter war die Schlampigkeit dieser Top-Laboratorien. Messfühler werden nicht abgeschirmt und Messungenauigkeiten werden als Beleg für die kalte Fusion genommen. Die Genauigkeit einiger Ausschläge gab einer der Forscher (Appleby), was in diesem Fall unmöglich war, auf drei Dezimalstellen an. Ebenso absurd war die Begründung: Seine Assistenten hätten eben gute Augen!
Hier zeigen sich bestimmte Denkmuster, wie verfälschende Erwartungshaltung und vor allem fehlendes Bemühen um Falsifikation. Diese fehlerhaften Denkmuster reihen sich nahtlos neben denjenigen ein, die ich bereits in Denkeffekte und Fehler in der Wissenschaft angesprochen habe.
So ist der vor allem der Umgang mit negativen oder widersprechenden Resultaten sehr aufschlussreich. Eine Untersuchungskommission sprach einen Assistenten auf negative Ergebnisse an:

„About these Professor Bockris did not wish to know, for it was only positive results that concerned him.“ (Velev in Gratzer 2000, S. 129)

Aber es gab sie; Velev hatte ganze Schubladen voll!

„When his cells appeared to produce less heat than they should, these were considered mistakes and stashed in a drawer. When the cells appeared to produce excess heat, this was considered evidence of fusion.“ (Taubes 1993, S. 322)

Ich interpretiere die fehlenden Kontrollen, die Schlampigkeit und den Umgang mit Widerlegungen als die Auswirkungen von bestimmten dominanten Denkmustern, die man Bestätigungstendenzen, Beharren auf Überzeugungen, verfälschender Erwartungshaltung und Ignorieren widersprechender Belege nennen kann.

Wie kann man nun diese Befunde erklären?
Es liegen leider keine ausgearbeiteten historischen oder soziologischen Erklärungen der Gründe vor, noch viel weniger der Mechanismen. Paradigmatische Erklärungen scheiden a priori aus, weil es bis dato noch gar kein Forschungsfeld der kalten Fusion gab.
Eine überzeugende Erklärung für solch grobe Fehler und Nachlässigkeiten liefert meiner Meinung nach eine evolutionäre Interpretation. Wenn eine bestimmte Hypothese (egal welche, sie muss nur attraktiv genug sein) einmal aufgestellt ist und dadurch eine Erwartungshaltung besteht, dann verteidigt und immunisiert man sie auch. Das kann viele unmittelbare Gründe haben, letztlich steht aber ein biologischer Zweck dahinter (z. B. die Hypothese: Rote Pflanzen sind giftig). Solche Schutzmechanismen sind sinnvoll, denn sie erfüllen ihren Zweck in ganz bestimmten Umweltkontexten, wenn und weil sie die Handlungsfähigkeit trotz Falsifikation erhalten. In der Wissenschaft jedoch führen sie zu den beschriebenen Problemen und Fehlern.

Empfehlenswerte Literatur zum Thema:

Gratzer, W. (2000): The Undergrowth of Science: Delusion, Self-deception, and Human Frailty. Oxford: Oxford University Press.
Huizenga, J. R. (1994): Kalte Kernfusion: Das Wunder, das nie stattfand. Braunschweig: Vieweg.
Taubes, G. (1993): Bad Science: The Short Life and Weird Times of Cold Fusion. New York: Random House.